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Die sensationsgeile Menschheit & die Medienwelt

In der “Wetten, dass …?” Sendung vom 04. Dezember 2010 passierte bei der ersten Wette ein schwerer Unfall. Ein deutscher Student sprang mit sog. Siebenmeilenstiefeln über auf ihn zufahrende Autos drüber. Was bei den Proben noch gut ging, endete schließlich aber in einem schrecklichen Unfall. Meine Familie und ich, wir wünschen dem jungen Mann alles Gute und seiner Familie jetzt viel Kraft!

Für mich war dieses Ereignis Anlass, mir über die Sensationsgeilheit und die Resonanz in den Medien Gedanken zu machen.

Die erschreckendsten Facts bezüglich der Resonanz des Unfalls:

  • Schon nach wenigen Minuten war ein Videomitschnitt des Unfalls auf youtube online.
  • Leute im Studio twitterten vor Ort oder filmten sogar den Verletzten.
  • Auch Bilder vom Unfall waren schnell online.
  • Gab man auf twitter die Suche “wettendass” ein, so erhielt man innerhalb einer Sekunde so viele Tweets, dass man selbige gar nicht mehr lesen konnte.

Dass sich via twitter die Justin Bieber Fans (“Oh mein Gott, Justin konnte heute nicht auftreten!”) mit dem Rest der Welt in eher rauhen Tönen gezankt haben, ist eine andere Geschichte. Er selbst bewies mehr Reife:

“…we all don’t think it is right to continue. Please pray for Samuel Koch & his family as we wait and hope for his health and safety.” (Twitter Status von @justinbieber)

Muss das sein?

1. Muss man solche Dinge (Unfallvideo!) online stellen? Inwiefern ist so ein Video zu rechtfertigen?

2. Müssen solche Wetten und ganz allgemein Aufmerksamkeit erregende Sendungen wirklich sein? Was, wenn der junge Mann einen lebenslangen Schaden durch den Unfall erleidet? War es diese Sendung wert?

Zum Schluss kann ich nur mehr betonen, das ZDF hat gut reagiert. Nach dem Unfall wurde nur mehr das Publikum gefilmt. Die Sendung fortzuführen wäre absolut geschmacklos gewesen.

17 thoughts on “Die sensationsgeile Menschheit & die Medienwelt

  1. Ich sehe das ähnlich, allerdings würde ich nochmal zwischen dem Fanatismus einer 10-Jährigen und der Sensationslust eines youtube-Uploaders unterscheiden.

    In jedem Fall ein dickes Lob an das ZDF (und ich lobe die selten ;-))!

    Gottschalk hat übrigens bewiesen, daß er in der Lage ist, in einer extrem angespannten Lage das Richtige zu tun: er ist ruhig geblieben (obwohl er innerlich sicher genauso geschockt war wie alle anderen auch) und hat die Balance zwischen Authenzität und Beruhigung gefunden. Das ist nicht leicht in so einer Situation, da brechen andere zusammen.

    Ich habe mich oft über ihn geärgert, weil seine Sprüche manchmal unterirdisch sind. Ich habe oft Tränen gelacht, weil er streckenweise urkomisch ist. Aber in dieser Situation hat er bewiesen, was er wirklich draufhat: er ist Vollprofi und gleichzeitig Mensch.

    Gut gemacht, Gottschalk!

    http://feydbraybrook.wordpress.com/2010/12/04/pervers-leute-laden-wetten-dass-unfall-video-hoch/

  2. sehr gut beobachtet! muss aber dazusagen, dass meine persönliche meinung etwas radikaler sein mag. ein junger mann, der eine derartige wette durchführen möchte, muss mit verletzungen rechnen.
    wenn man sich auf biegen und brechen selbst inszenieren muss, kann durchaus mal etwas passieren. es war ein schlimmer unfall, ohne frage. und natürlich wünsche auch ihm nur das beste, aber man sollte vielleicht auch einmal hinterfragen, ob derartige wetten wirklich nötig sind und was sich der eigene vater dabei eigentlich gedacht hat?!

    1. Natürllich, das stimmt, Robert.

      Anderer approach: In den Medien geht es Aufmerksamkeit, um Sensationen (hätte er die Wette unbeschadet überstanden, wäre das mit Sicherheit eine – wenn auch kleine – Sensation geworden). Nun macht man Sendungen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen – man macht so eine Sendung wie “Wetten, dass…?” und auch hier gibt es eine große battle um die beliebte “Ware” Aufmerksamkeit. Man wählt also Wetten aus, die immer krasser (ganz nach dem Motto “höher, schneller, weiter”) sind. So kam es auch zu dieser Wette.
      Das Grundproblem sehe ich also im Medienmarkt und nicht unbedingt in der Risikofreude des jungen Herrn.

      Hoffe, du weißt, was ich meine.

      1. Klar weiß ich, was du meinst.
        und du hast mit dem – uns von herrn hmf gut gelehrten – aufmerksamkeits/sensations-einwand natürlich vollkommen recht. trotzdem muss ich jetzt darauf beharren, dass diese – von dir so treffend wiedergegebene – wette im speziellen verdammt gefährlich ist und den samuel sicher niemand mit vorgehaltener waffe dazu gezwungen hat, sich in dieser form einem millionenpublikum (?) zu präsentieren. zudem gehört sein vater für diese aktion ohnehin sofort unter anklage gestellt – ein derartiges erziehungsversagen ist einfach unduldbar.
        ZDF hat vorbildlich reagiert, die medien haben sich in ungewohnter zurückhaltung geübt und der samuel ist zweifellos ein armer kerl.
        will damit aber nur sagen, dass übertriebenes mitleid für das opfer nicht angebracht ist, denn im gegensatz zu vielen anderen unfallopfern hat er sehr wohl gewusst, was ihm dabei passieren kann.

  3. Nunja. Es liegt in der Natur des Menschen, das Ungewöhnliche und die Sensation zu suchen. Das ist nichts ungewöhnliches und wohl jeder von uns hat sich einmal dabei ertappt Hoppalas, Unfälle, Katastrophen und andere Sensationen im kleinen und großen Rahmen auf youtube zu suchen. Das liegt in der Natur des Menschen.

    Mich beeindruckt hier mehr die Schnelligkeit der neuen Medien. Das zeigt auch dein Beitrag. Deine Leserzahlen werden wohl bei diesem Post höher sein als sonst.

    Sehr gut hat mir die Reaktion gefallen die Sendung abzubrechen. Zeugt von öffentlich rechtlicher Verantwortung und war sicher nicht billig.

    1. ad Sensationslust: Das stimmt. Aber man auch dazu sagen, gäbe es diesen ständigen Kampf um Aufmerksamkeit in den Medien nicht, so wären wir wahrscheinlich auch nicht so “sensationsgeil”. Gibt in der Hinsicht natülich viele verschiedene Sichtweisen.

      ad Schnelligkeit: Absolut! Es ist tatsächlich erstaunlich, wie schnell das alles eben ging – war auch ein Grund für das Posting.

      ad Visits: Auch hier darf ich dir (Ihnen?) Recht geben …

  4. Verstehe dich, Robert.
    Wir halten also fest:

    – Er kannte das Risiko. Tat es trotzdem.
    – ZDF kannte das Risko. Wählte ihn trotzdem.

    Hoffen wir, dass es ihm bald wieder gut geht und dass er daraus gelernt hat. Vielleicht lernen wir alle daraus. Wenigstens etwas …

  5. ich gebe robert in diesem fall wirklich recht – der typ wusste, was passieren kann. gut, dass das video so kurz darauf im internet war, ist grenzwertig. allerdings, wieviele zuschauer erreicht “wetten dass..?” ? heutzutage muss man damit rechnen, dass solche dinge im netzlanden, wenn man sich im tv präsentiert und eben – ganz ehrlich – nach aufmerksamkeit “giert”.

    allerdings, da hast du absolut recht, johanna, ist es eben immer schwieriger an besagte aufmerksamkeit zu kommen und es ist verlockend, sich dem motto “höher, schneller, weiter” hinzugeben.

    alles in allem ist dieser unfall einfach tragisch und ich hoffe, dass samuel koch ihn gut übersteht.
    und vor allem hoffe ich, dass dieser vorfall die menschen wachrüttelt, dass ihnen bewusst wird, auf welchem level wir uns in sachen aufmerksamkeit und inszenierung schon bewegen.

    übrigens, johanna: toll, dass du so schnell reagiert hast, hat mich wirklich beeindruckt.

  6. Also sonderlich beeindruckt hat mich die Berichterstattung im Bezug auf die “Situationsgeilheit” nicht. Die Sache ging auf Sendung. Und alles was auf Sendung geht, kann auf YouTube landen. Entspricht es gewissen Kriterien, also erregt es auf irgendeine Art und Weise Aufmerksamkeit – ist es dort. Wie furchtbar und schrecklich es auch ist – ist egal.

    Wie @Froewe richtig schildert, ist übertriebenes Mitleid lächerlich. Der Kerl ist 23 und Stuntman – also kein Kind mehr und sich etwaiger Folgen bewusst. Was die “Zurückhaltung der Medien betrifft”, so muss ich dir aber widersprechen, Robert (*hust* http://bild.de *hust*).

    Das ZDF kann ja eigentlich die Sektkorken knallen lassen, nach dem heutigen Abend. Bevor den WettenDass-Quoten endgültig das Genick gebrochen wäre, hat man so gerade noch den Hals aus der Schlinge gezogen und wird beim nächsten Mal wohl einen Rückwärtssalto retour in höhere Zuschauersphären machen.

    Abschließend vielleicht der schwärzeste Kommentar, gesehen auf derStandard.at zum Thema:

    “Otto hat die Wette übrigens nicht gewonnen.”

    Guten Abend.

  7. Ob nun youtube, bild.de oder das ZDF selber, auf allen Kanälen der Medien wurde über das Thema gesprochen und geschrieben. Es ist sicherlich richtig wenn die Frage nach dem “muss das sein” gestellt wird. Es muss nicht sein, aber in einer Welt in der jeder zum Sender von Informationen werden kann (weil er es einfach technisch kann), werden wir diese Reflexe immer wieder beobachten müssen.
    Jeder Mensch möchte Aufmerksamkeir, und einmal für nur einen kurzen Moment die Person zu sein, welche evtl. vielleicht das Stückchen Film oder Twitterfeed nach draußen gesendet hat, welches zu einer Sensation gehört, wird uns Menschen nie stoppen lassen solche Dinge zu tun.
    Auch Du bist Teil dieser “Wetten dass”-Story. Du vertrittst zwar eine, wie ich meine richtige Meinung, aber damit bist du gegen den Mainstream gerichtet und wirst selber zu einem Teil dieses Unfalls (medial gesehen).
    Früher sind Journalisten diejenigen gewesen die über solche Dinge berichtet haben, weil es zu ihrer Pflicht gehörte zu informieren, aber auch in den Zeiten der reinen professionellen Berichterstattung gab es schon grenzwertige Ereignisse. Es begann mit der Übertragung aus dem Brüsseler Heysel-Stadion, als wir alle Zeuge einer Livekatastrophe wurden, danach begannen die privaten TV-Sender mit den berühmten Breaking-News, die öffentlich-rechtlichen zogen nach, dann kam das Internet in seiner 2.0-Form und heute produziert jeder seinen eigenen Content und nur noch die eigene Moral, die Anzahl der Likes, die Kommentaranzahl, die Follower und die Timeline entscheiden ob es richtig gewesen ist.
    Es wird nicht mehr abwendbar sein, denn wir sind nun einmal wie wir sind: alle ein wenig Sensationsgeil!

  8. du hast dir das video auf youtube angesehen.
    du hast dir die comments auf twitter angesehen.
    du hast dir die bilder auf bild.de angesehen.
    du verfasst letztendlich einen blogbeitrag.

    es ist nicht immer nur der autor, sondern auch seine leserschaft, die die verantwortung für so ein mediales fehlverhalten trägt.

  9. “Gab man auf twitter die Suche „wettendass“ ein, so erhielt man innerhalb einer Sekunde so viele Tweets, dass man selbige gar nicht mehr lesen konnte.”

    Ähm, das ist bei fast jeder Sendung so. Du kannst auch Sonntagabend mal bei Twitter nach “tatort” suchen, da findest Du auch soviele Tweets. Wenn Millionen Menschen vor der Glotze hängen und sich diese Sendung anschauen ist es nur natürlich, dass im Netz darüber gesprochen wird. Natürlich hatte das gestern was mit Sensationsgeilheit zutun, Deine Kritik ist mir aber zu allgemein.

  10. “Denn offenbar lief es schon bei den Proben nicht reibungslos. So erzählte Samuel K. der “Badischen Zeitung” am Freitag, dass er tags zuvor bei den Testdurchläufen zweimal schwer gestürzt war.” Quelle: stern.de, bz

    Also ging es auch bei den Proben nicht gut, das nur nebenbei.

    Ich gebe zu, dass es mir auch schwerfällt, diese extreme Betroffenheit zu entwickeln, die über die hinausgeht, die man bei täglich auftretenden Unglücksmeldungen spontan hat. Der junge Mann hatte den Ehrgeiz, bei einer Sendung vor Millionenpublikum einen äußerst riskanten Stunt vorzuführen und er ging schief. Da gibt es andere Schicksalsschläge, die mich weit mehr mitnehmen, auch wenn mich das jetzt etwas kaltherzig erscheinen lässt.

    Was die Sensationsgier/-geilheit angeht: ebendieses Millionenpublikum sieht ja nach x-Jahren “Wetten dass” den (laut Gottschalk) ersten schlimmen Unfall und will nach der Ausblendung eigentlich nur wissen, was ihm nun passiert ist. Das hat für mich noch nichts mit Sensationsgier zu tun.

    So könnte man auch unken, dass dieser Blogeintrag auch so was wie ein trafficgenerierender sensationsandockender Beitrag ist und damit würde man Ihnen doch sicherlich -gefühlt- Unrecht tun. Oder?

  11. Gut beobachtet. Bin der Meinung, dass Thomas Gottschalk höchst professionell reagiert hat – auch bin ich positiv überrascht, dass sich das ZDF dazu entschlossen hat die Sendung abzubrechen.

    Wenn bei einer Skiabfahrt ein Rennläufer schwer stürzt und eventuell für immer an den Rollstuhl gebunden ist, wird weitergefahren (“the show must go on”).

    das zdf wird sich aber die frage gefallen lassen müssen, obn solch gefährliche wetten etwas im fernsehen zu suchen haben. wenn einer privat über autos springen mag, dann soll er das tun – im fernsehen hat das meiner ansicht nach nichts verloren.

    Könnte mir vorstellen, dass sich das ZDF aufgrund der sinkenen Quoten und der direkten “Das Supertalent”-Konkurrenz entschlossen hat, so einen riskanten Stunt zu zeigen (noch dazu gleich als erste Wette).

  12. Vorweg: ich hab die Sendung nicht gesehen.
    Ja, was ich mitbekommen habe, hat Gottschalk richtig reagiert.
    Klar, es mag arg erscheinen, vom Unfall ein Video auf Youtube zu stellen. Wirklich schlimm finde ich aber was sich Österreich (die Zeitung. Nicht das Land) geleistet hat. Hat die Süddeutsche hier (http://www.sueddeutsche.de/medien/erfundener-wetten-dass-bericht-kritik-der-reinen-unvernunft-1.1032516) gut zusammengefasst. Würde ich jedem empfehlen die 8 Minuten Lesezeit zu investieren. Und dann noch einmal.

  13. Schade nur, dass dieses ganze Interesse an Samuel Koch nicht auch allen anderen Behinderten gilt. Alle nehmen Anteil an seinem Schicksal, an dem er nicht unschuldig ist. Doch niemand wird sich deshalb wirklich damit beschäftigen, wie ein Leben im Rollstuhl wohl im Alltag wirklich aussieht. Niemand wird einen autobiographischen Roman darüber lesen, um sich einfühlen zu können. Niemand wird deswegen aufhören, an Straßenecken zu parken, wo er die Bürgersteigabsenkung blockiert und Rollis zwingt, einen langen Umweg zu machen. Niemand wird in das nächste Heim gehen und einem Rollifahrer als Begleitung einen Ausflug ermöglichen. Niemand wird seinen Bürgersteig schneefreier halten, weil Rollifahrer dann vielleicht nicht wochenlang im Haus bleiben müssten so wie jetzt.
    Schade, wie gesagt, denn das leichtsinnige Unglück wird letzten Endes noch nicht einmal durch ein Umdenken wenigstens einen Sinn erhalten. Und in einem Jahr interessiert sich niemand mehr für Samuel Koch. Monatelang um einen neuen Rollstuhl oder eine Kur betteln und kämpfen wie „normale“ Rollifahrer, oder am Ende des Monats Windeln sparen weil die Kasse nur eine gewisse Menge genehmigt, wird er allerdings nie müssen.

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